Amnesty International Deutschland beobachtet mit Sorge, wie sich die asylpolitische Diskussion weiter verschärft. Dazu gehört auch die Forderung der Ministerpräsidenten der Länder, Asylverfahren künftig in Drittstaaten durchzuführen und Leistungskürzungen für Asylsuchende zu fordern, sowie die Einführung einer Bezahlkarte. Amnesty International sieht auch die geplante neue Regelung im Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogrammes, wonach Asylsuchende in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen sollen und im Falle eines positiven Ausgangs der sichere Drittstaat dem Schutzsuchenden Schutz vor Ort gewähren soll als kritisch und warnt ausdrücklich vor dem Beschluss dieser Grundposition.
im Jahr 2023 nahmen die Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte stark zu. Alleine von Januar bis September registriert die Polizei deutschlandweit mehr als 1400 Angriffe auf Flüchtlinge und 112 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Mehrzahl der Angriffe wurde mutmaßlich von rechtsextremen Täter*innen verübt. Klar ist: Hass und Hetze ebnen den Weg für Gewalt.
- Amnesty fordert eindringlich einen diskriminierungssensiblen Dialog aufrechtzuerhalten und Migration nicht als Gefahr darzustellen. Wir fordern eine konsequente Verfolgung rassistischer Straftaten, Schutzkonzepte für Flüchtlingsunterkünfte sowie ein klares Bekenntnis zum Recht auf Asyl.
- Die Landkreise Saale-Orla und Schmalkalden-Meinigen haben eine Arbeitspflicht von 2 bis 4 Stunden pro Tag an bis zu 5 Tagen pro Woche für alle erwerbsfähigen Asylsuchenden eingeführt. Grundlage für diese Verpflichtung sind § 5 Abs. 1 und 2 Asylbewerberleistungsgesetz. Asylsuchende erhalten eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 80 Cent pro Stunde. Asylsuchende, die sich weigern, entsprechende Arbeiten zu verrichten sollen eine Kürzung ihren regulären Leistungen von bis zu 200 Euro erhalten. Die der Arbeitspflicht zugrundeliegenden Annahmen sind rassistisch, denn es wird suggeriert, Asylsuchende würden nicht arbeiten wollen (angebliche „Einwanderung in die Sozialsysteme“) und ihre Arbeitsleistung sei im Wesentlichen wertlos (80 Cent pro Stunde wert). Das Gegenteil ist der Fall: Die allermeisten Asylsuchenden möchten gerne arbeiten, viele dürfen es allerdings nicht.
- Darüber hinaus hat Amnesty International erhebliche rechtliche Bedenken bezüglich einer sanktionsbewährte Arbeitspflicht von 4 Stunden pro Tag an 5 Tagen pro Woche. Eine derartige Arbeitspflicht entspricht im Wesentlichen einer Tätigkeit auf einer halben Stelle – ein erheblicher Arbeitsumfang. Gem. Art.15 Abs.1 Asylverfahrensrichtlinie müssen EU-Mitgliedstaaten Asylsuchenden nach 9 Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren (zukünftig sogar bereits nach 6 Monaten). Eine Arbeitspflicht von 4 Stunden am Tag erschwert den Zugang zum tatsächlichen Arbeitsmarkt und bindet Asylsuchende in prekärer Arbeit, anstatt beispielsweise durch Intensivsprachkurse einen Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt zu erleichtern. Zudem könnte eine sanktionsbewährte Arbeitspflicht von 4 Stunden am Tag für 5 Tage die Woche einen Verstoß gegen das Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit, verstoßen, da es sich um eine Arbeit ohne freiwilliges Angebot unter Androhung einer Strafe handelt (Art. 2 Abs.1 des Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit). Es besteht Grund zu der Annahme, dass eine Arbeitspflicht in diesem Umfang nicht unter den Ausnahmetatbestand des Art. 2 Abs. 2 des Übereinkommens fällt (4 Stunden pro Tag sind eine halbe Stelle und damit keine „kleinere(n) Gemeindearbeiten, die unmittelbar dem Wohle der Gemeinschaft dienen, durch ihre Mitglieder ausgeführt werden und daher zu den üblichen Bürgerpflichten der Mitglieder der Gemeinschaft gerechnet werden können“)
- Die Forderung nach einer Arbeitspflicht bei gleichzeitig bestehenden Arbeitsverboten ist rechtlich zweifelhaft und zudem widersinnig. Asylsuchende sollten das Recht auf Arbeit erhalten, anstatt zur Arbeit gezwungen zu werden. Die Bundesregierung sollte wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, entsprechende Arbeitsverbote abschaffen. Zusätzlich müsste die Anerkennung von Abschlüssen vereinfacht und der Zugang zu Sprachkursen verbessert werden.
- Immer wieder zeigt es sich, dass die Kommunen nicht ausreichend Stellen bzw. nicht sämtliche Planstellen in den Ausländerämtern besetzt haben. Dies führt dazu, dass Flüchtlinge Dokumente mit Aufenthaltserlaubnissen erst nach langer Zeit erhalten. Flüchtlingen wird teilweise eine sogenannte Fiktionsbescheinigung ausgestellt. Mit dieser ist es aber schwer bspw. gegenüber Vermieter*innen nachzuweisen, dass man sich rechtmäßig in Deutschland aufhält. Wir regen an, Lösungen zur Entlastung von Kommunen zu verfolgen.
- Wir begrüßen, dass Thüringen die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für syrische und afghanische Flüchtlinge, die eine Aufnahme durch ihre in Thüringen lebenden Verwandten – Anordnung des Thüringer Innenministeriums nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vom 10. September 2013 beantragen, bis 31.12.2024 verlängert hat. Wir fordern, dass die Aufnahme auch über den 31.12 2024 verlängert wird, sofern nicht die Verfolgung von Menschen in Syrien und Afghanistan aufhört. Weiter fordern wir, dass wieder eine entsprechende Regelung für Flüchtlinge aus Afghanistan in Thüringen eingeführt wird. Sie galt bis 31.12.2023.
- Die thüringische Landesregierung sollte von Abschiebungen nach Venezuela, Sudan und Afghanistan und den Iran absehen und sich bei der nächsten IMK für entsprechende umfassende und formelle Abschiebungsstopps einsetzen. Selbiges gilt für Pamiri und Menschen aus GBAO und etwaige Abschiebungen nach Taschikistan.
- Bezahlkarte: Amnesty International ist besorgt, dass mit Einführung der Bezahlkarte es zu weiteren Einschränkungen beim Zugang zu Sozialleistungen für Asylsuchende kommen könnte. Bei der Umsetzung der Neuregelungen des Asylbewerberleistungsgesetz zur Einführung einer Bezahlkarte müssen die Landesregierungen sicherstellen, dass die Karte nicht zu Verschlechterungen im Zusammenhang mit dem Recht auf soziale Sicherheit führt, wie bspw. zu de-facto Leistungskürzungen und/oder sogar einen vollständigen Leistungsausschluss. Mehrere UN-Ausschüsse haben bereits erhebliche Bedenken gegen das deutsche Asylbewerberleistungsgesetz geäußert.
- Auslagerung von Asylverfahren: Die allermeisten Schutzsuchenden weltweit leben nicht in Europa, sondern in Ländern des globalen Südens. Knapp Dreiviertel aller Schutzsuchenden weltweit befinden sich in ihren jeweiligen Nachbarländern. Dennoch diskutieren gerade Länder des globalen Nordens, wie Dänemark, Australien oder Großbritannien wie sie die Verantwortung für Schutzsuchende an Länder des globalen Südens, oft sogar an ehemalige Kolonien, auslagern können. Auch in Deutschland wurden in den letzten Monaten Stimmen laut, die eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten fordern. Auch die Ampelregierung prüft nach einem entsprechenden Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz im November 2023, inwiefern eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten möglich sein könnte. Bei der nächsten Ministerpräsident*innenkonferenz sollte sich die Thüringer Landesregierung für einen Beschluss einsetzen, der sich klar zur historischen Verantwortung Deutschlands im Flüchtlingsschutz bekennt und die Idee der Auslagerung von Asylverfahren als weder rechtlich noch praktisch machbar verurteilt. Anstatt Verantwortung an Drittstaaten auszulagern, sollten Deutschland und die weiteren europäischen Mitgliedstaaten allen Personen, die in Europa Asyl beantragen, Zugang zu fairen Asylverfahren in Europa ermöglichen und denjenigen internationalen Schutz gewähren, die ihn benötigen.